Tagesanzeiger 23.11.2005

Der SoAb-Leiter spricht über den Glauben der jungen Generation, über Religion als möglichen Weg und über die Gefahr, Traditionen zu überrennen.
mit Reto Nägelin sprach Andreas Jäggi

Gibt es eine neue, religiöse Jugendbewegung?
Ja. Im Leben vieler Jugendlicher spielt der Glaube eine wichtige Rolle. Nur dreht es sich bei ihnen nicht primär um Religion, sondern um das persönliche Moment des Glaubens. Der Glaube ist es, der diese Jugendlichen verbindet, nicht die Religion.

Was sind die Eigenheiten dieser religiösen Bewegung?
Dass sie eben nicht religiös ist. Sie ist eine Kopplung von Individualismus, Konsumhaltung und persönlichem Glauben. Wir wollen dazu animieren, selbst zu denken, statt nur zu konsumieren; dieser Ansatz kommt meiner Meinung nach auch in anderen Lebensbereichen zu kurz. Wenn der Glaube eine persönliche Färbung erhält, entsteht daraus eine einzigartige Beziehung zu Gott.

Der SoAb verzichtet in seinen Gottesdiensten weit gehend auf althergebrachte Rituale. Sind damit auch Nachteile verbunden?
Wir verzichten nicht auf Rituale; sie sind da, aber in anderer Form. Ein Ritual als Ritual alleine ist tot; wer das Vaterunser bloss runterleiert, kann es auch gleich sein lassen. Deshalb beten wir das Vaterunser auf Schweizerdeutsch. So ist es uns näher, und wir fragen uns eher, was es bedeuten könnte. Ich will aber nicht das eine gegen das andere ausspielen, auch mystische Momente sind wichtig. Man spricht nie alle an mit einer Art, den Glauben zu leben.

Welche Gefahren lauern bei der Modernisierung der Kirche?
Die neue Bewegung darf die Tradition nicht überrennen. Den Grundstock unserer Arbeit definiert immer noch die reformierte Kirche: selbst glauben, selbst denken, selbst entscheiden. Das zu verlieren, wäre das Schlimmste. Des Weiteren ist jede Form von Dogmatik oder Hörigkeit in meinen Augen falsch. Wir müssen uns aber auch fragen, wie wir die Traditionen in unsere Zeit führen können, ohne sie zu zerstören. Denn wenn uns das nicht gelingt, ist die Gefahr eher, dass über kurz oder lang gar niemand mehr in die Kirche geht.