
Geschrieben von Rolf Winter, veröffentlicht: 22. März 2015
Der etwas andere Gottesdienst
Foto(c)UrsSchmid
Blues in der Kirche gab es als Vorveranstaltung des Bluesfestivals Basel am 21. März 2015 in der Stadtkirche Liestal. Der Bluesdiakon Reto Nägelin führte durch die fast zwei Stunden dauernde Veranstaltung, die kein Gottesdienst, aber auch kein einfaches Konzert in einer Kirche war. Den musikalischen Teil übernahmen der Basler Sänger Roli Frei, die Zürcher Blues-, Soul und Gospelsängerin Christina Jaccard, begleitet vom Boogie Woogie-, Blues-, Stride- und Swingpianisten Dave Ruosch, dem Gitarristen und Sänger Marco Marchi und dem Harmonikaspieler Marco Simoncelli, beide Mitglied der Gruppe Marco Marchi & The Mojo Workers.
Seit 2007 ist Reto Nägelin als Bluesdiakon unterwegs. Seine Bluesgottesdienste in der Zürcher Wasserkirche finden jeweils am letzten Donnerstag des Monats statt und geniessen auch in traditionellen Kirchenkreisen so viel Beachtung, dass er 2010 dafür mit dem «Award für Öffentlichkeitsarbeit» ausgezeichnet wurde. Sein Konzept ist es, über den alltäglichen Blues zu reflektieren, den wir alle kennen. Blues sei das Fenster zur Seele, davon ist er überzeugt. Er sei Ausdruck einer Sehnsucht, eines inneren Durstes, die aus der Diskrepanz zwischen unseren Wünschen und der Realität entstehen. Er sieht dies aber auch als Chance für Veränderungen, für einen Wandel. So versteht er den Blues als Katalysator, der es möglich macht, über unsere Situation nachzudenken und gleichzeitig als Mittel, sie zu akzeptieren oder zu ändern. Unterstützt wird er dabei von unterschiedlichen, wechselnden Musikern.
Es gab keine Liturgie im engeren Sinn, abgesehen von einer Segnung am Schluss der Vorstellung. Nägelin versteht es, ohne Gleichnisse, ohne Bibelzitate und ohne Gebete eine nachdenkliche und gleichzeitig fröhliche Stimmung zu erzeugen, die aber durchaus die transzendenten Saiten seines Publikums anspricht, was ihm auch in Liestal mühelos gelang. Unterstützt vom subtilen Spiel der Musiker schaffte er eine Atmosphäre, die man eher in einer schwarzen Gemeinde im Süden der USA erwartet, als bei doch eher zurückhaltenden Schweizern. Zum Schluss standen alle Besucher zu den Klängen von Amazing Grace auf, hielten sich an den Händen, sangen oder summten mit und bewegten sich im Takt der Musik.
«Wann würde ich am liebsten, wo und bei welcher Musik einen Gottesdienst besuchen?» soll er sich gefragt haben, bevor er diese Bluesgottesdienste ins Leben gerufen hat, und: «Ich führe nur Anlässe durch, die ich selbst auch besuchen würde.» Sein Konzept hat Erfolg. Wer Gelegenheit hat, einen dieser Gottesdienste zu besuchen, weiss wieso.
http://bluesnews.ch/berichte/konzerte/1317-blues-in-der-kirche